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> "Not in the Evening's eyes
When they red with weeping are
For the Sun that dyes,
Sits sorrow with a face so faire:
No where but here did ever meete
Sweetnesse so sadd, sadnesse so sweete."
- Richard Crashaw, "The Weeper"
| ...So etwa hätte man meine Gedanken in frühneuenglische Worte kleiden können, als ich zum ersten Mal auf Musik von Virgin
Black stieß, nämlich als ich mir irgendwann im Jahr 1996 einen CD-Sampler von Rowe Productions kaufte, auf dem sich drei Viertel
des Demotapes der Band befanden. Sofort war ich von den gewaltigen Emotionen und der außerordentlichen Schönheit der Songs
beeindruckt, was ich der Band auch gleich in einem Brief schrieb...
Aus diesem ersten Kontakt hat sich mittlerweile eine Brieffreundschaft zur Gitarristin Samantha entwickelt, so dass es
für mich kein Problem war, ihr trotz der vielen Interviews, die sie zur Zeit gibt, einige Zeilen für die Innenseiten zu entlocken.

Zuerst habe ich sie gebeten, etwas über die Anfänge der Gruppe zu schreiben: "In meinem Herzen hatte ich bereits eine
tiefe Vision über die Musik, die ich kreieren wollte, als ich anfing, für eine Band, die noch am Entstehen war, Musik zu schreiben.
Bald darauf stieß ich auf Rowan London. Wir entdeckten, dass viele unserer Leidenschaften und Träume perfekt zueinander passten,
also taten wir uns zusammen. 1995 erschien unser erstes Demo, ''Virgin Black''. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Gruppe Virgin
Black wahrhaftig geboren. Im Verlauf der Zeit sind wir zu einer starken Einheit zusammengewachsen, und ich bin stolz auf die
Einheit, die innerhalb der Band herrscht. Die Zeit hat auf jeden Fall für ein großes Wachstum gesorgt!" Trotz aller Einheit
werden dem, der die Musik der Gruppe zum ersten Mal hört, wohl zwei Komponenten sofort auffallen: Zum einen die brillante
Stimme des äußerst begabten Sängers Rowan London - endlich mal einer, der Eric Clayton wirklich Konkurrenz machen kann - ,
zum anderen Samanthas Talent, ihre Gitarre zum Sprechen zu bringen. Hierzu meint sie: "Die Gitarre ist schon immer ein
Instrument gewesen, das mir sehr am Herzen lag, und wahrscheinlich ist dies ein wichtiger Faktor, der sich auf meine Art zu
komponieren auswirkt. Viele sagen mir, dass sie von einigen der Melodien und Töne, die in den Stücken zu hören sind, angerührt
worden sind, und das ist wahrhaftig eine sehr große Ehre. Ich betrachte es als sehr wichtig, in einer Weise zu spielen, die
meinem eigenen Charakter als selbstverständlich entspricht ... vielleicht lässt man auf diese Weise Facetten seiner Persönlichkeit
und seiner Stimmung ans Tageslicht treten. Zur Zeit erkunde ich ein anderes Instrument." Welches dies allerdings ist,
darüber will sie uns scheinbar (noch) nicht aufklären. Wie auch immer, es stellt sich die Frage, woher sie ihre künstlerischen
Inspirationen nimmt bzw. welche Instanzen sie in der Regel inspirieren. "Ich persönlich kann diese Frage am ehrlichsten
so beantworten: Hoffnung und der Verlust von Hoffnung. Träume und der Verlust von Träumen. Das Leben mit all seinem Glanz
und all seinem Schrecken!"
Denjenigen, die sich fragen, ob die Mitglieder der Band Christen sind oder nicht, kann ich bestätigen, dass dies sehr
wohl der Fall ist, auch wenn viele säkulare Zeitschriften dies ignorieren (oder gar nicht wissen?). Ob Virgin Black sich deshalb
nun als ''christliche Band'' bezeichnen würden, ist eine interessante Frage, auf die Samantha auch eine interessante Antwort
gibt: "Es kommt völlig darauf an, wie man das Wort 'christlich' definiert. Unsere Generation ist Zeuge von zuviel widerlicher
religiöser Tyrannei geworden. Es macht mich krank, den beklagenswerten Missbrauch Gottes durch solch einfältige und heuchlerische
Personen mitzuerleben. Sie haben kein Verständnis der Wahrheit, Gnade ist nur ein Wort, das auszuleben sie sich weigern, und
sie akzeptieren nur die, die sich nach ihrem Abbild klonen lassen. Letzteres betrübt uns am meisten. Es ist schwierig für
die Leute, Wahrheit zu finden, wenn die Wahrheit von der Religion zerstört worden ist. Doch wir ermutigen Leute dazu, eine
Schönheit in Gott zu entdecken, die von den Verunreinigungen von Menschenhand weit entfernt liegt. Diese Schönheit ist so
bestechend. Sie ist unersetzlich. (Wenn du von dem Wort 'christlich' in seiner Reinheit sprichst, dann ja.)" Da fragt
man sich, wie die ''christliche Welt'' auf Virgin Blacks eigenwillige Kunst reagiert... "Die Reaktionen sind verschieden
(obwohl es so scheint, dass Amerika im Allgemeinen nur zu bekannt dafür ist, all das anzugreifen, was mit ihrem Idealbild
nicht konform geht). Ihr wüdet euch wundern, mit was fü Logik wir zu tun bekommen. Eigentlich ist das ziemlich traurig. Aber
in meinem Herzen kümert es mich nicht. Übrigens glaube ich nicht, dass es etwas gibt, das diese Leute wirklich zufriedenstellen
könnte."
- Womit wir einmal mehr bei den seltsamen Maßstäben wären, die in der christlichen Szene Amerikas gelten. Man bedenke,
dass die ersten beiden Saviour-Machine-Alben wegen eines einzigen Ausdrucks in einem Liedtext bis heute nicht in christlichen
Buchläden in den vereinigten Staaten verkauft werden. (Konsequenterweise hätte man schon längst die Bibel aus den christlichen
Buchläden verbannen müssen.) Weiter fragte ich, was sie antworten würde, wenn sie z.B. jemand fragte: ''Warum denn so schwarz?''
- "Gott selbst kleidet sich in Dunkelheit. (1. Könige 8:12 ''Der Herr selbst wollte im Dunkeln wohnen.'') Wenn er nicht
der Gott meiner Dunkelheit sein kann, ist sein Wesen wertlos. Das Leben ist genauso von Tragik wie von Hoffnung erfüllt. Mehr
als 70 % der Psalmen bestehen aus Klagen. Hier ist einfach der Mensch ehrlich vor Gott und sich selbst. Mit Wahrheit kann
man nicht fehlgehen. Ich weigere mich, etwas zu leugnen, das in meinem Leben real ist. (Seit wann bessert es einen Menschen,
in einer selbstgeschmiedeten Welt zu leben?) Was die Kunst angeht, habe ich schon immer die Gotik sehr geschätzt ihre mysteriöse
Schönheit, die sich in Architektur, Gedichten oder Gemälden finden lässt; es ist eine andere Form, sich auszudrücken. In jener
Zeit trugen viele der Gläubigen Schwarz, um Einfachheit zu symbolisieren. Auf jeden Fall sollten wir bis jetzt gelernt haben,
dass es das ist, was man im Herzen hat, seine eigenen persönlichen ''Vorsätze'', was für Gott am kostbarsten ist. Man sollte
die Freiheit haben, sich seinem eigenen Charakter gemäß auszudrücken. Jeder ist anders. Vielfalt ist wunderschön." Dennoch
scheint es in der christlichen Szene ja eine Art Angst vor bzw. ein Unverständnis gegenüber wahrer Kunst zu geben. "Kunst",
so schreibt sie weiter, "ist Ausdruck von Persönlichkeit und bedient sich einer großen Vielfalt von Mitteln, um eine
Botschaft zu vermitteln. Ich glaube, dass die wahre Kraft und Reinheit des christlichen Glaubens durch die religiösen Institutionen
fortwährend unterdrückt worden ist. Und daher stammt sicherlich jene Angst. Uns werden Regeln und Vorschriften beigebracht,
und dadurch wird die Wahrheit des Charakters Gottes verzerrt. Gott ist der größte Künstler. Wir sollten die Freiheit und den
Mut haben, das, was seiner Natur innewohnt, (grenzenlos) zu ergründen." Hoffen wir also, dass mehr Menschen, und vor
allem auch Christen, diese Freiheit und diesen Mut finden! Als ihre Lieblingskünstler bezeichnet Samantha übrigens u.a. John
Donne, Saviour Machine, Brahms, YoYo Ma und Candlemass (''Nightfall''-Ära).
Auf Virgin Blacks neuestem Werk 'Sombre Romantic', das nach einem Demo und einer E.P. ihr erstes richtiges Album ist,
finden sich jedenfalls keine Beschränkungen des künstlerischen Ausdrucks. Der Titel ist überaus treffend gewählt worden: Es
ist schwer, sich etwas noch Düstereres (''Sombre'') vorzustellen, und auch Elemente aus der Kunst der Romantik - etwa das
'spontane Übersprudeln starker Gefühle' in der romantischen Kunst und Literatur - sind ohne Probleme wiederzufinden. Viele
der Texte, von denen Samantha übrigens etwa die Hälfte geschrieben hat, sind nicht auf Anhieb zu verstehen, da sie sehr viel
Bildhaftigkeit enthalten, die selten eindeutig auszulegen ist. "''Sombre Romantic'' ist ein sehr persönliches Album.
Für mich ist es ein Ausgiessen der Seele." Jedem, der das Album hört, wird sofort klar, dass eine Menge Arbeit hineingesteckt
wurde. "Alles auf dem Album ist von uns ausgeführt worden. Damit meine ich die Finanzierung, die Aufnahmen, das Mixen,
die Produktion und das Artwork. Ursprünglich haben wir es selbst veröffentlicht. Wir hatten eine sehr genaue Vision im Kopf
und haben hart daran gearbeitet, jedes Detail, das für jedes Stück notwendig war, zu bekommen und zu perfektionieren."
Diese Arbeit wurde belohnt - nicht zuletzt auch durch die Veröffentlichung im säkularen Bereich: "Thomas von Massacre
Records war vom Album sehr begeistert, und der Rest ist wohl Geschichte! Massacre hat 'Sombre Romantic' am 25. Juni in Europa
veröffentlicht, und bisher war alles sehr verheißungsvoll für uns." Bei solch einem Album bleiben die guten Kritiken
natürlich nicht aus: "Die Reaktionen sind außerordentlich gewesen! In den wenigen Monaten ist schon soviel erreicht worden...
Die Reviews ergaben in 'Heavy, oder was!?' 12 von 12 und 10 von 12 Punkten, im 'Orkus' 10 von 10, im 'Legacy'-Magazin 14 von
15 und im 'RockHard' 8,5 von 10 Punkten. Wir sind total überwältigt von den Reaktionen."
Als Nächstes hat mich interessiert, wie das Foto auf dem Cover gemacht worden ist, wenn es überhaupt ein Foto ist... "Ja,
das ganze Artwork besteht aus von mir gemachten Fotografien. Ich hatte ein ganz bestimmtes Bild im Kopf, das den Titel des
Albums ergänzen musste. Ich experimentierte herum und machte die Fotos im eigenen Haus. Ich bin zufrieden mit der im Artwork
festgehaltenen Stimmung. Es ist alles miteinander verknüpft. 'Sombre Romantic' - die Romantik eines Cellos, die Hoffnung im
Romantischen, aber auch die Verzagtheit einer betrübten Seele. 'Virgin Black' - Reinheit und die Schlechtigkeit der Menschheit.
(Es ist möglich, diese Reinheit zu finden.) Tragik und Hoffnung. All dies ist auf dem Album vereint. Die Einzelfotos sind
so gemacht worden, um eine Botschaft der Zerbrechlichkeit rüberzubringen. Unsere Verwundbarkeit vor Gott. Eine kindliche Seele
- das ist es, was [für ihn] kostbar ist, und leider auch selten." Zum Fotografieren scheint Samantha jedenfalls auch
ein großes Talent zu haben - sie habe schon immer damit herumexperimentiert, und wenn sie die Zeit und Möglichkeiten dazu
hätte, würde sie sich liebend gerne mehr in die Kunst des Fotografierens vertiefen, fügt sie noch hinzu.
Sicherlich wird der Virgin-Black-Hörer gar nicht anders können, als sich eine Live-Umsetzung ihrer Musik vorzustellen,
und eventuell wird er verständliche Zweifel daran hegen, ob es wohl jemals gelingen könnte, ein Programm wie das auf Sombre
Romantic halbwegs glaubhaft live rüberzubringen. Die Gruppe scheint mit Live-Umsetzungen jedoch keineswegs Probleme zu haben,
auf ihrer Website steht sogar, dass es eher die Live-Auftritte sind, an deren Intensität die CDs sich orientieren, also genau
umgekehrt. Auf meine Bitte hin, uns etwas über vergangene Live-Auftritte zu erzählen, schreibt Samantha: "Die ''Live''-Erfahrung
ist eine völlig andere Dimension. Obwohl wir schon mit Bands wie Paradise Lost, Entombed oder Cathedral aufgetreten sind,
sind es die kleineren, ''intimeren'' Shows, die bei mir den größten Eindruck hinterlassen. Wenn das Publikum ganz eingenommen
ist und die Band ihr Herz ausschüttet das sind die großartigsten Momente. Ich finde Live-Auftritte ziemlich bewegend und lohnenswert."
Da bleibt zu hoffen, dass Virgin Black bald nach Deutschland kommen... Über die Zukunftspläne der Band sagt Samantha noch
Folgendes: "Wir werden im Frühjahr anfangen, unser zweites Album aufzunehmen, welches wir Mitte 2002 herauszubringen
planen. Obwohl es noch etwas früh ist, um es mit Bestimmtheit sagen zu können, ist es wahrscheinlich, dass eine Europa-Tour
folgen wird, um den Verkauf anzuleiern, wobei Deutschland auf jeden Fall auf dem Plan steht. Europa, und besonders Deutschland,
liegt uns sehr am Herzen dort herrscht solch eine brennende Leidenschaft für die Musik..." Hoffen wir also, dass unsere
müden Augen Virgin Black bald zu Gesicht bekommen!
| Interview geführt von Patrick Maiwald; Oktober 2001
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